Fallbeispiel

Von Gewalt im Namen der Ehre sind junge Menschen und insbesondere junge Frauen* betroffen. Wollen sie aus den patriarchalen Strukturen, die ihnen häufig im Elternhaus vermittelt werden ausbrechen, so wird dies als Verletzung der „Ehre“ empfunden. Familien oder Communitys denen ein solcher „Ehrverlust“ droht, versuchen die jungen Menschen häufig mit der Anwendung von psychischer und physischer Gewalt zu sich zurück zu holen. Das Fallbeispiel soll einen Einblick in die Lebenswelt von Betroffen von Gewalt im Namen der „Ehre“ liefern, kann diese aber nur in Auszügen darstellen und hat keinen Anspruch diese vollständig abzubilden.

 

Fallbeispiel Rania

Rania ist im Irak geboren, doch seitdem sie zwei Jahre alt ist lebt sie mit ihren Eltern und ihren großen Brüdern in Deutschland. Rania ist jetzt 16 Jahre alt und geht zur Schule. Sie hat dort viele Freund*innen. Rania merkt, dass ihre Freund*innen viel mehr Freiheiten haben als sie. Sie muss immer bescheid sagen, wo sie hin geht und muss früh wieder zu Hause sein. Das stört Rania jedoch nicht besonders, ihre Familie macht sich halt sorgen um sie. Allerdings fängt ihre Familie jetzt an, ihr ständig Eltern mit ihren Söhnen vorzustellen, die sie ggf. heiraten soll. Immer wieder schafft Rania ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie dies nicht tun will. Sie möchte erst mal ihren Schulabschluss und eine Ausbildung machen.

Als Rania ihre Ausbildung als Bankkauffrau abgeschlossen hat, lassen ihr ihre Eltern keine Ruhe mehr. Rania ist jetzt fast 20 und soll endlich heiraten.

Sie hat ihren Eltern nicht erzählt, dass sie in der Berufsschule einen Mitschüler kennengelehrt hat mit dem sie jetzt schon seit über einem Jahr zusammen ist. Ihr Freund ist kein Yezide und würde deshalb von ihren Eltern auf keinen Fall akzeptiert werden.

Der Druck der Familie wird immer größer. Ihre Eltern sagen ihr, dass sie sich nun innerhalb einer Woche zwischen drei Männern entscheiden muss, da dann die Verlobungsfeier stattfinden soll.

Rania will das auf keinen Fall und entschließt sich, mit ihrem Freund von Zuhause wegzulaufen. Ihre Familie ist außer sich! Ständig versuchen sie Rania anzurufen. Sie beschimpfen sie am Telefon und sagen ihr, sie hätte die Familien „Ehre“ beschmutzt. Sie solle sofort zurückkommen, sonst würden sie sie finden und umbringen, denn nur so ließe sich die „Ehre“ der Familie wieder herstellen.

Rania ist verzweifelt und weiß nicht, was sie tun soll. Sie liebt ihren Freund und möchte auf gar keinen Fall heiraten, aber sie vermisst ihre Familie schrecklich doll! Sie ruft in ihrer Verzweiflung beim Hilfe-Telefon an und erzählt, wie es ihr geht. Die Beraterin gibt Rania die Telefonnummer von KOBRAnet, denn dort kann Rania nicht nur telefonisch Unterstützung erhalten.