Fallbeispiele

Menschenhandel tritt in verschiedenen Formen auf. An den folgenden Fallbeispielen können  in der Praxis häufig feststellbare Vorgehensweisen der Täter*innen erkannt werden. Die Fallbeispiele sollen einen Einblick in die Lebenswelt von Betroffen von Menschenhandel liefern, können diese aber nur in Auszügen darstellen und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

 

 

Fallbeispiel Anna

Anna ist eine intelligente und aufgeschlossene junge Frau und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Sofia, Bulgarien.  Sie ist 21, hat die Schule beendet, aber keine Ausbildungsstelle gefunden. Ihr Freund und Anna wollen heiraten doch ein fester Arbeitsplatz und das Geld zum Leben fehlen ihnen noch dazu.

Eines Tages kommt ein langjähriger Bekannter der Familie zu Besuch und eröffnet ihr die Möglichkeit nach Deutschland zu reisen, in einem Restaurant zu arbeiten und Geld zu verdienen. Das Geld wäre genug um selbst etwas zu sparen und dazu noch die Familie in der Heimat zu unterstützen. Dieser verlockenden Chance kann Anna nicht widerstehen und sagt zu. Sie vertraut ihm.

Nach kurzer Zeit beginnt für Anna die Reise ins vermeintliche Glück. Ausgestattet mit einer kleinen Reisetasche, ihrem Pass, 50 Euro für die Reise. Die Überquerung sämtlicher europäischen Grenzen verläuft problemlos.


Nach langer Fahrt treffen sie in Berlin ein. Der Bekannte verlangt für die Reise 2000 Euro von Anna. Von dieser Vereinbarung wusste Anna nichts und ahnt bereits, dass etwas schiefgelaufen ist. Man offenbart ihr, dass sie um die hohen Schulden zurückzahlen zu können in einem Bordell arbeiten muss, da sie das Geld in einem Restaurant nicht schnell genug erwirtschaften kann. Sie kommt in ein Berliner Bordell und muss mehrere Freier pro Tag bedienen. 70% ihrer Einnahmen muss sie an ihre Zuhälter*innen abgeben, von den restlichen 30% ihren "Reisekredit" abzahlen und für ihre eigene Kleidung und Verpflegung aufkommen. Um sicher zu gehen das Anna das Geld zurückbezahlt nimmt man ihr ihren Pass weg.

Anna hat Angst und empfindet ihre Situation als ausweglos. Sie spricht kein Deutsch. Als "Prostituierte" würde sie von der Polizei schlecht behandelt werden, drohen ihr ihre Zuhälter*innen. Einen "Besuch" würden sie ihrer Familie abstatten, wenn Anna fliehen würde.

Bei einer Razzia der Polizei wird sie festgenommen. Sie hat Angst vor dem was kommt, merkt jedoch auch, dass sie nichts falsch gemacht hat. Die Polizei klärt sie auf über die Möglichkeit auf, sie geschützt bei einer Organisation unterzubringen. Auch bei ihrem Wunsch, endlich ihre Familie wiederzusehen, wird man sie unterstützen.


 

Fallbeispiel Abini

Abini lebt in einem kleinen Dorf nicht weit von Benin City. Sie darf nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen, denn ihre Familie hat nicht genug Geld um das Schulgeld für alle Kinder zu bezahlen. Also fängt Abini schon sehr jung an zu arbeiten um ihre Familie finanziell zu unterstützen.

Als ihre Mutter an einer schweren Krankheit stirbt, heiratet ihr Vater eine neue Frau. Diese möchte nicht, dass Abini und ihre Geschwister mit ihr in einem Haus leben. Nun ist Abini mit 19 Jahren alleine für das Wohl ihrer Geschwister verantwortlich. Sie weiß nicht wie sie das notwendige Geld verdienen soll, doch dann erzählt ihr eine Bekannte, dass Abini für sie als Frisörin in Italien arbeiten könnte. Abini ist sehr froh über diese Möglichkeit Geld zu verdienen. Die Bekannte, die sie Madame nennen soll, breitet in der nächsten Woche alles für ihre Abreise vor. Kurz vor der Reise muss Abini einen Voodoo Schwur ablegen. Sie schwört der Madame bei dem Ritual, dass sie die entstandenen Reisekosten vollständig an die Madame zurückzahlt, andernfalls würde Unglück und Krankheit über ihre Familie kommen.

 

Nun macht sich Abini mit verschiedenen Verkehrsmitteln den langen und gefährlichen Weg über Niger nach Libyen. Die Madame ruft sie während der Reise ständig an. Als sie endlich in Libyen ankommt soll sie einen Bekannten der Madame treffen, der für sie die Überfahrt mit einem Schlauchboot nach Italien organisieren soll. Als sie den Mann trifft behauptet er, die Madame habe ihm zu wenig Geld für die Überfahrt nach Italien gegeben und sie habe deswegen noch Schulden bei ihm. Als Abini die Madame anruft und fragt ob das stimmt, sagt die Madame nur, dass sie tun solle was man ihr sagt und erinnerte sie an den geleisteten Schwur. Der Mann vergewaltigt Abini mehrfach, da sie ihm das Geld nicht bezahlen konnte, bevor er sie zu einem sehr kleinen und überfüllten Boot bringt.

 

Als sie in Italien ankommt, bringt man sie in ein Flüchtlingscamp. Nach kurzer Zeit holt die Madame sie ab und bringt sie in ihre Wohnung. Die Madame sagt ihr, dass die Reise 50.000 Euro gekostet habe. Um das Geld zu bezahlen habe sie die Möglichkeit als Prosituierte auf der Straße zu arbeiten; anders lasse sich nicht so viel Geld verdienen. Abini hat wegen des Schwurs Angst um ihre Geschwister und wehrt sich nicht gegen die Madame und ihre Helfer, sondern arbeitet Jahre lang um ihre “Schulden“ abzuzahlen.

 

Als Abini schwanger wird findet sie den Mut und flüchtet nach Deutschland. Dort stellt sie einen Asyl Antrag. In ihrem Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erzählt Abini was ihr widerfahren ist. Die Mitarbeiterin des BAMF informiert Abini, dass was ihr passiert ist Menschenhandel ist und dass es für Betroffene eine Beratungsstelle gibt. Abini nimmt Kontakt zu KOBRAnet auf und bittet um Unterstützung durch die Beratungstelle.